Vielleicht bin ich (mal wieder) zu naiv. Aber der „Hype“, der seit Monaten um ChatGPT und andere generative KI-Tools gemacht wird, fängt mich langsam an zu nerven. Es ist doch nur Technologie. Aber der Reihe nach…
Das Thema Künstliche Intelligenz in der Kommunikationsarbeit beschäftigt mich schon eine Weile. Um genau zu sein, habe ich vor mindesten vier Jahren mit meinem damaligen Vorgesetzen darüber gesprochen. Seitdem habe ich mich in das Thema eingelesen. Dies ist schwer genug, weil dazu viel veröffentlicht wird – gerade in letzter Zeit. Aber vieles davon ist noch nicht wirklich substanziell. Kein Wunder. Ist ja alles neu.
Wirklich? (Schwache oder starke) Künstliche Intelligenz wird seit Jahren im Monitoring, der Big-Data-Analyse fürs Stakeholder-Mapping oder auch bei der Reichweitenmessung/Evaluation von Kommunikation eingesetzt. Richtig eingesetzt, kann KI die Effizienz steigern, große Datenmengen analysieren, kreative Impulse liefern. Die Technologie kann ein lernendes System in der strategischen Kommunikation ermöglichen und so die Kommunikationsarbeit kontinuierlich und in Echtzeit zu verbessern. (vgl.: https://prjournal.instituteforpr.org/wp-content/uploads/Wiencierz-Roettger_Big-Data-in-Public-Relations-A-Conceptual-Framework_PR-Journal.pdf, 2019)
Tools, die euch Texte schreiben, gibt es auch nicht erst seit ChatGPT. Aber generative KI und die Qualität von ChatGPT von OpenAI und dem Chatbot „Bard“ von google sind neu und beeindruckend. Zumindest wenn man richtig damit umgeht.
Faktor Mensch: Es braucht den prüfenden Blick
Auf den Zweiten Blick muss man allerdings feststellen, dass die Texte und Fakten, die von der Technologie ausgespuckt werden, nicht immer vollumfänglich überzeugend sind. Eigentlich ist das nicht überraschend, denn ChatGPT ist im Grunde genommen nur Wahrscheinlichkeitsrechnung. Das „Halluzinieren“ von ChatGPT ist ein Problem, denn die Falschinformationen werden als Tatsachen von der Technologie präsentiert und fallen nicht immer als Fake News auf. Das ist nicht schön, aber gleichzeitig beruhigend. Warum? Weil ich dadurch die aktuellen Unkenrufe nicht teilen kann: Wir werden nicht alle unsere Jobs verlieren. Meine These: Zumindest in absehbarere Zeit wird generative KI die Arbeit von uns Kommunikator:innen nicht vollständig ersetzen. Auch wenn die Systeme schnell dazulernen. (Frag‘ mich in 5 oder 10 Jahren noch einmal.)
Offenbar sehen das auch viele Kolleg:innen so. In der Studie „Künstliche Intelligenz in der strategischen Kommunikation“ von Kristin Hansen heißt es: „Während drei von vier Befragten der Meinung sind, KI werde ihren Beruf verändern, glaubt nur ein Drittel, dass die Routinearbeit der eigenen Kommunikationsabteilung oder -agentur beeinträchtigt werde, oder dass sich der eigene Beruf ändere, unzureichende Kompetenzen des Personals und fehlende Infrastrukturen werden (…) als größte Hürde für den Einsatz identifiziert.“ (Hansen, 2023, Seite 11).
Es gibt Faktoren, die immer den prüfenden Blick des Menschen brauchen. Zum Beispiel bei folgenden Fragen:
- Stimmen die Fakten? Ist die Story wirklich plausibel? Gibt es logische Fehler?
- Ist die Story wirklich die, die wir als Kommunikatoren in der Öffentlichkeit erzählen wollen? Passt sie zur Unternehmensstrategie und den Unternehmenszielen?
- Sind alle rechtlichen und ethischen Standards korrekt eingehalten? Ist der verantwortungsvolle Umgang mit Daten gewährleistet?
- Würde es bei dieser Story „innenpolitische“ Verwerfungen in der Organisation geben?
Ich bleibe dabei: Wir werden unsere Jobs (erstmal) nicht verlieren. Aber unser Arbeitsalltag wird sich stark verändern: Wir müssen uns auf die disruptive Entwicklung, die generative KI auslöst, vorbereiten und uns weiterbilden. „Professionelle Kommunikator:innen sind daher aufgefordert, sich zum Thema KI weiterhin zu informieren und fortzubilden.“ (https://www.prethikrat.at/wordpress_dev/wp-content/uploads/KI-Leitfaden.pdf, 2023) Wer sich künftig nicht mit generativer KI und seinen rechtlichen, ethischen und technologischen Veränderungen auskennt, wird in Agenturen und Kommunikationsabteilungen vermutlich schlechte Karten haben. Diese Kompetenzen werden gebraucht. Aber wer damit gut bis sehr gut umgehen kann, wird auf dem Arbeitsmarkt gute Chancen haben.
Ethischer Einsatz von generativer KI, Transparenz und Vertrauen
Die „klassischen Prinzipien“ ethischer PR werden weiterhin richtig und wichtig sein. Sie dürfen meines Erachtens nicht vernachlässigt werden. Der ethische Einsatz von generativer KI ist für unsere Arbeit unabdingbar (Stichwort: „Responsible AI“). Denn nur so bleibt die Glaubwürdigkeit der Kommuniaktor:innen erhalten. „Insgesamt ist der ethische Einsatz von generativer KI unabdingbar, um die Glaubwürdigkeit der PR-Branche zu erhalten bzw. zu verbessern. Er stärkt außerdem die Rolle der PR-Professionist:innen in einer sich dynamisch verändernden Umwelt.“ (https://www.prethikrat.at/wordpress_dev/wp-content/uploads/KI-Leitfaden.pdf, 2023).
Transparenz, Vertrauen und Glaubwürdigkeit sind zwingende Gelingensbedingungen unseres Berufes. Diese Diskussionen können (bisher) nur wir Menschen selbst führen. Die Gefahr, dass durch generative KI Fake News und Desinformationen inflationär werden, ist groß. „Laut einer Studie des Bundesverbandes Deutscher Pressesprecher haben 45% der professionellen Kommunikatoren in Deutschland in ihrer täglichen Arbeit mit Hate Speech durch KI in den sozialen Medien zu tun, bei der es vermehrt zu Rechtsverstößen kommt.“ (Hansen, 2023, Seite 11).
Daher werden Recherchefähigkeiten und das Prüfen von Fakten noch wichtiger in unseren Beruf, als sie sowieso schon sind. Hinzu kommt, dass alle Kommunikator:innen meiner Meinung nach immer transparent machen müssen, wenn generative KI bei der Kommunikationsarbeit gesetzt wurde und wird.
Das Prüfen und Finalisieren der Texte von ChatGPT wird bleiben. Das „Vier-Augen-Prinzip“ zwischen Mensch und Maschine ist eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Kommunikationsarbeit. Nur so bleibt unser Berufsstand glaubwürdig und genießt weiterhin Vertrauen. Unternehmen und Organisationen stehen vor der Entscheidung, ob sie sich diese Qualität in der professionellen Kommunikationsarbeit leisten wollen.
Durch den richtigen Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz kann außerdem mehr Raum für Kreativität entstehen, weil Routine-Arbeiten von der Technologie erledigt werden können. „Der Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz (KI) transformiert die Kommunikationsbranche nachhaltig. Idealerweise werden dadurch repetitive Handlungen reduziert und neue Ressourcen für kreative, strategische High-Level-Arbeit geschaffen.“ (https://www.prethikrat.at/wordpress_dev/wp-content/uploads/KI-Leitfaden.pdf, 2023)
Es gibt also viele Chancen, die sich durch den Einsatz von generativer KI ergeben. „Jeder vierte (Kommunikationsexperte – Anm. d. A.) sieht zwar Chancen für die strategische Kommunikation und PR, demgegenüber stehen aber die ethischen Herausforderungen und Bedrohungen – nicht nur für die Organisationen und deren Reputation, sondern auf für die Gesellschaft und die öffentlichen Debatten.“ (Hansen, 2023, Seite 45-46)
Die disruptiven Veränderungen sind eine spannende Zeit für alle professionellen Kommunikator:innen. Unsere Arbeit wird sich verändern. So wie sich die Arbeitswelt nach der Erfindung des Buchdrucks, der Dampfmaschine, des Computers und des Internets auch verändert hat.
Fazit:
„Generative KI bietet zweifellos bemerkenswerte Chancen für die professionelle Kommunikationsarbeit. Sie kann die Effizienz steigern, personalisierte Inhalte liefern und kreative Impulse geben. Dennoch dürfen die damit verbundenen Risiken nicht ignoriert werden, insbesondere in Bezug auf Qualitätskontrolle, Ethik und den Verlust menschlicher Kreativität. Eine ausgewogene Nutzung von generativer KI erfordert eine kluge Integration in den Arbeitsprozess, bei gleichzeitiger Wahrung menschlicher Integrität und Verantwortung. Es liegt an den Kommunikationsprofis, die richtige Balance zwischen Technologie und Menschlichkeit zu finden, um das volle Potenzial der generativen KI auszuschöpfen.“ (ChatGPT, 2023)
Dieses Fazit hat ChatGPT geschrieben. Der Textabschnitt ist gut, aber auch kein Wunderwerk. ChatGPT basiert auf Wahrscheinlichkeitsrechnung. Nicht mehr und nicht weniger. Das dürfen wir alle nicht vergessen. Spannend ist es trotzdem. Wir sollten meiner Meinung nach den aktuellen Veränderungen neugierig, offen und konstruktiv gegenübertreten.
Kurzum: Kein Grund zur Panik… locker bleiben. It’s just technology.
Quellenhinweis:
Hansen, Kristin. (2023). Künstliche Intelligenz in der strategischen Kommunikation: Eine qualitative Untersuchung ethischer Herausforderungen und normativer Erwartungen zur Gestaltung eines ethisch verantwortungsvollen Ansatzes. Quadriga Media Berlin.
https://www.prethikrat.at/wordpress_dev/wp-content/uploads/KI-Leitfaden.pdf, 2023, abgerufen am 28.08.2023.
https://prjournal.instituteforpr.org/wp-content/uploads/Wiencierz-Roettger_Big-Data-in-Public-Relations-A-Conceptual-Framework_PR-Journal.pdf, 2019, abgerufen am 28.08.2023.