In Zeiten von Ukraine-Krieg und Corona-Krise stellt man immer öfter fest, dass sich CEOs* persönlich politisch äußern und in den gesellschaftlichen Debatten positionieren. Meist tun sie dies in den Sozialen Medien. Der Terminus „The Social-CEO“ wird dann gern bemüht. Soziale Medien dienen in diesen Fällen als Quelle für Feedback und Seismograf für die Stimmung „da draußen“. Beim Klimawandel funktioniert gesellschaftspolitisches Thought Leadership, und nichts anderes ist es, in der Regel gut. Beim Thema Ukraine-Krieg wird das schon schwieriger. Hier muss man sich positionieren. Und was ist, wenn das Unternehmen in oder mit Russland Geschäfte macht? Thought Leadership kann hier die Dramatik erhöhen. Stellt sich die Frage, wie politisch darf oder muss der CEO eines Unternehmens heutzutage wirklich sein? Und wie muss sich die Kommunikationsarbeit der Organisation dadurch verändern? Eine mögliche Antwort: „Beyond Thought Leadership“ – wie ich es nenne.
Natürlich, Thought Leadership ist eine wunderbare Gelegenheit, auf der Welle der Agenda zu surfen und mit der eigenen Marke in den Medien durchzudringen. Das ist heutzutage immer schwieriger, denn wir alle ertrinken regelrecht in einer Flut aus Informationen. Also, wie kann man in Anbetracht der sekündlich zunehmenden Informationsflut als Organisation mit seinen Botschaften und Fakten medial durchdringen, die Zielgruppe erreichen und sein Publikum von der Wertigkeit der eigenen Informationen überzeugen?
Ist es klüger, den CEO lediglich im eigenen Fachgebiet als Experten zu positionieren oder doch als engagierte Stimme in gesellschaftspolitischen Debatten? Wenn er das tut, macht sich der CEO (damit auch das Unternehmen und die Marke) möglichweise mehr und mehr zum gesellschaftspolitischen Meinungsmacher und weniger zum Experten auf dem eigenen Fachgebiet. Mit der politischen Positionierung macht er sie sich gegebenenfalls angreifbar und riskiert die nächste Krisenkommunikation – bis hin zum veritablen Shitstorm.
Thought Leadership ist ein klassisches Kommunikations-Tool für eine erfolgreiche CEO-Positionierung. Ja, ich weiß. Wieder so ein englischer Ausdruck, bei dem erst einmal keiner außerhalb der Kommunikationsbranche weiß, was dahintersteckt. Und wieder so ein Begriff der in der Kommunikations-Blase inflationär genutzt wird. Also, ich sortiere das mal eben: Bei einem Thought Leader handelt es sich um eine Einzelperson (oder eine Organisation), deren Wissen und Positionen in ihrem Fachgebiet als richtungsweisend gelten (DIM). Sie vereint die Reichweite eines „Influencers“ mit der Kompetenz eines Experten (DIM). Über bloße Eigenwerbung und die Teilnahme an aktuellen fachlichen Debatten hinaus gibt Thought Leadership eigene, innovative Impulse und vermittelt eine klare, zukunftsorientierte Vision (vgl. DIM; Neuen; Rynne).
Damit schafft sie einen Mehrwert für das Unternehmen. Denn laut “B2B Thought Leadership Impact Study” aus dem Jahre 2021 von Edelman und LinkedIn ist Thought Leadership nach wie vor entscheidend für die Kundenbindung. Thought Leadership ist somit ein wesentlicher Bestandteil jeder erfolgreichen Content-Marketing-Strategie. Sowohl B2C- als auch B2B-Unternehmen können von den vielen Vorteilen von Thought Leadership profitieren, um einen wettbewerbsfähigeren Ruf aufzubauen. 46 Prozent der Käufer sagen in der Studie, dass Thought Leadership wichtig sein kann, um den Ruf eines Unternehmens zu reparieren. Letztlich kann dies zu mehr Umsatz führen.
Vertrauen, Content und Storytelling
Ein Thought Leader, ein Unternehmen und eine Marke brauchen vor allem eines: Vertrauen. Das Vertrauen der Zielgruppe. Glaubwürdigkeit und Vertrauen gehören also zu den übergeordneten Kommunikationszielen von Thought Leadership (Rynne). Wenn die Käufer die Gedanken und Ideen des Unternehmens verstehen und sich mit ihnen identifizieren, fangen sie an, das Unternehmen als zuverlässige Marke zu vertrauen. Und das kann mehr Umsatz bedeuten. Denn laut ITSMA geben 75 Prozent der potenziellen Käufer an, dass Thought Leadership ihnen bei der Entscheidung hilft, bei welchem Anbieter sie ein Produkt kaufen (LinkedIn).
Sowohl für Einzelpersonen als auch für Strategien auf Organisationsebene gilt dabei: „Menschen vertrauen Menschen“ (Neuen; Schwaner). Authentizität und Konsistenz sind daher unerlässlich (Rynne). Um das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit von Entscheidungsträgern zu gewinnen, bedarf es wiederum einer starken Vordenkerrolle – vor allem, wenn man kein etablierter Marktführer ist. Laut B2B Thought Leadership Impact Study von Edelman und LinkedIn sagen65 Prozent der Käufer, „dass Thought Leadership die Wahrnehmung eines Unternehmens aufgrund einer Vordenkerrolle erheblich verändert hat.“
Um Vertrauen zu gewinnen, braucht man neben einem langen Atem auch sehr guten Content. Dieser muss erstklassig aufbereitet sein. Quellen sollten transparent sein, damit jeder Rezipient nachvollziehen kann, woher die Informationen stammen. Das kann Kritik von außen und dem nächsten mehr oder weniger großen Shitstorm vorbeugen. Denn laut Edelman Trust Barometer 2022 sinkt das Vertrauen der Öffentlichkeit in etablierte Institutionen. Diese Erosion sorgt für eine Instabilität der Gesellschaft. Edelman nennt das „Cycle of Distrust“. Da überrascht es nicht, dass eine falsche Meldung oder Äußerung schon ausreicht, um das Vertrauen der Kunden nachhaltig zu zerstört und den Umsatz einbrechen lassen kann. Das Kundenbedürfnis wird immer anspruchsvoller, die Gesellschaft immer komplexer, Fake News vermehren und verbreiten sich sehr schnell in den Sozialen Medien.
Um im Meer aus minderwertigen Informationen nicht unterzugehen, ist auch die Art und Weise, wie der Content zur Zielgruppe gelangt entscheidend. Wichtig ist es, regelmäßig Präsenz zu zeigen, Stellung zu beziehen und sich mit relevanten, hochwertigen Inhalten von der Masse abzuheben (Schwaner; DIM; Rynne; LinkedIn/Edelman).
Von Thought Leadership zu Beyond Thought Leadership
Thought Leadership steigert den Bekanntheitsgrad einer Person, aber auch einer Marke sehr effektiv. Um diese Ziele zu erreichen, müssen sich der Thought Leader und die Unternehmenskommunikation vor dem Hintergrund der veränderten Rahmenbedingungen neu aufstellen. Hier kommt Beyond Thought Leadership ins Spiel! Beyond Thought Leadership denkt die „klassische CEO-Positionierung“ weiter. Denn durch die moderne Omni-Channel-Kommunikation ist klassisches Thought Leadership heutzutage schon fast gar nicht mehr von einem einzelnen CEO zu leisten. Auch alle anderen Mitarbeitenden im Unternehmen können und sollten in diese Kommunikations-Strategie einbezogen werden, um den zentralen Botschaften „ein Gesicht [zu] geben“ (Thoms; Neuen; Schwaner).
Dafür hilft es, die Corporate Identity klar intern zu kommunizierten und von den Mitarbeitenden Story-Telling zu nutzen. Das Ergebnis wird dabei nicht immer perfekt, aber echt sein. Denn jeder Mitarbeiter bringt andere kommunikative Fähigkeiten mit. Das hat Implikationen auf HR und Corporate Communications. Diese beiden Abteilungen rücken näher zusammen, um letztlich ein positives Employer Branding zu generieren.
Aber auch bei Beyond Thought Leadership gilt: Als zentrale Figur der Organisation eignen sich weiterhin Vorstandsmitglieder besonders gut, da ihre Wahrnehmung ohnehin stark mit der Reputation der Organisation verbunden ist, aber auch andere Mitarbeitende sind als Multiplikatoren eine wertvolle interne Ressource (Neuen; Schwaner; Bartl;Rynne). Hier sind eine kluge Personalauswahl und Personalentwicklung gefragt. Denn die Mitarbeitenden und Führungskräfte müssen zusätzliche kommunikative Fähigkeiten und Talente mitbringen.
Auch bei Beyond Thought Leadership ist sehr gutes Storytelling gefragt. In der Art und Weise, wie die Botschaften erzählt werden, wird ein Gleichgewicht zwischen Autorität und Provokation, aber auch zwischen menschlichem Ton und Spaß geschaffen. Hier gilt: „Act like a User“. Emotionen einsetzen! Aber Vorsicht! Es ist schwer immer den richtigen Ton zu finden. Je nach Thema oder Situation kann man schnell über das Ziel hinausschießen. Haltung kann manchmal auch Zurückhaltung bedeuten. Sonst ist die Reputation schnell dahin.
Neues und konsistentes Kommunikationsmanagement
Diese komplexen Anforderungen verlangen von der Kommunikationsabteilung ein solides, konsistentes und konsequenten Kommunikationsmanagement quer durch die gesamte Organisation. Vielleicht ist echtes Thought Leadership deswegen so selten. Vielleicht aber auch, weil es ein solides Vordenken braucht. Inhaltlich, organisatorisch, aber auch gesellschaftspolitisch.
Thought Leadership besteht aus Ideen die Aufmerksamkeit erfordern, die Orientierung oder Klarheit bieten und die Menschen in unerwartete, manchmal konträre Richtungen führen können. Thought Leadership muss lehrreich und idealerweise auch mal provokativ sein. So kann man sich und seine Organisation langfristig als Thought Leader etablieren – eine Position, die gerade in Krisenzeiten von großem Wert ist (Schwaner).
Für Beyond Thought Leadership gelten diese Regeln weiterhin, aber Beyond Though Leadership setzt darüber hinaus eine kontinuierliche und ehrliche Überprüfung der Unternehmenskultur und Kommunikations-Strategie voraus. Dazu sollten der CEO oder die Geschäftsführung nicht nur einmal im Jahr eine Mitarbeiterbefragung durchführen, sondern jeden Tag in die Organisation „hineinhorchen“. Beyond Thought Leadership braucht außerdem ein Frühwarnsystem, um Reputationsrisiken zu minimieren. Hierbei geht es um den „Rauchmelder“ in der Kommunikationsabteilung und nicht um den Feuerwehrmann, der durch Krisenkommunikation versucht den Reputations-Brand zu löschen, wenn die Presse vor dem Werkstor steht und kritische Fragen stellt.
Angesichts des zunehmenden Wettbewerbs um Aufmerksamkeit und der sich rasch ändernden Käuferpräferenzen, eines steigenden Fachkräftemangels und einer immer kritischer werdenden Belegschaft sollte von der Kommunikationsabteilung permanent überprüft werden, ob die Thought-Leadership-Strategie der Organisation den Bedürfnissen moderner Kommunikation, der Kunden und Zielgruppen noch entspricht. Wenn sich Kommunikationsabteilungen gegebenenfalls neu aufstellen und aus Thought Leadership Beyond Thought Leadership wird, kann dies im Meer der Informationen einen strategischen Beitrag zum Unternehmenserfolg erzielen.
*Hinweis: Zur besseren Lesbarkeit von Personenbezeichnungen und personenbezogenen Wörtern wird die männliche Form genutzt. Diese Begriffe gelten für alle Geschlechter.